Editorial 16. August 2020

Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat! (Psalm 33,12)

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind es gewohnt, Texte der Bibel recht schnell auf uns und unsere persönliche oder gemeindliche Situation zu beziehen. Heute bitte ich euch, das erst einmal nicht zu tun. Der „Israelsonntag“ am 16. August erinnert uns daran, dass wir Christen im Judentum unseren Ursprung und unsere Wurzeln haben. Das Volk Gottes, das er sich zum Erbe erwählt hat, ist zunächst einmal dieses Volk. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn Israel in dem Juden Jesus von Nazareth bisher nicht den langersehnten Messias und Sohn Gottes erkannt hat, an den wir als Christen glauben.

Im vergangenen Jahr haben wir als Baptistengemeinden in Deutschland unser Verhältnis zum Judentum neu formuliert. Unsere „Rechenschaft vom Glauben“ – „Ausdruck und Zeugnis der Übereinstimmung der Gemeinden im Glauben“ – wurde in einem wichtigen Punkt korrigiert. Stand in der bisherigen Version der Satz: „Der neue Bund, in dem Gott seine Herrschaft der Gnade für alle Menschen aufgerichtet hat, löst den alten Bund ab und bringt ihn zugleich zur Erfüllung“, so steht dort jetzt: „Gott hat seinen Bund mit Israel nicht aufgekündigt, als er durch Jesus Christus einen neuen Bund gestiftet und darin seine Herrschaft der Gnade für alle Menschen aufgerichtet hat.“

In einer Zeit, in der sich auch in unserem Land, das eine besondere, in Teilen grauenvolle Geschichte mit dem Judentum hat, wieder antisemitisches Gedankengut breitmacht, ist diese Neuformulierung in einem für unsere Kirche grundlegenden Dokument ein wichtiges Zeichen! Sie bringt – bei allen politischen Konflikten, die es geben mag – unsere tiefe, unverbrüchliche Gemeinschaft und Solidarität mit Israel und dem Judentum zum Ausdruck. Sie erinnert uns daran, dass das Volk Israel „Gottes Augapfel“ ist und bleibt (Sacharja 2,12) und dass nicht wir diese unsere Wurzel tragen, sondern sie uns (Römer 11,18).

Auf dieser Grundlage freuen wir uns, dass Gott in Jesus Christus mit uns einen neuen Bund geschlossen hat, der den alten Bund nicht ersetzt oder ablöst, sondern auf alle Menschen ausdehnt. In diesem Sinne: Wohl uns, wenn Gott unser HERR ist und uns zu (Mit-)Erben seiner Herrlichkeit macht (Römer 8,17).

Volkmar Hamp