Editorial 26. April 2020

Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.
Joh 10,11a.27-28a

Das Bild vom guten Hirten ist uns vertraut. Mit Psalm 23 beten wir: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln …“ In Corona-Zeiten vielleicht öfter und intensiver als sonst.

Jesus greift dieses Bild auf. Er sagt: Der gute Hirte – das bin ich! Wer sich mir anvertraut, wer auf mich hört und mir folgt, lebt auf. Er findet „ewiges Leben“. Leben, das den Tod überwindet. Nicht nur den physischen Tod, sondern den Tod mitten im Leben. Direkt vor unserem Wochenspruch heißt es: „Der Dieb kommt nur, um die Schafe zu stehlen und zu schlachten und um Verderben zu bringen. Ich aber bin gekommen, um ihnen Leben zu bringen – Leben in ganzer Fülle.“ (Joh 10,10 NGÜ)

„Leben in ganzer Fülle“ – das ist, was wir gerade besonders schmerzhaft vermissen, wonach wir uns sehnen. Kann es gelingen, auch jetzt – trotz aller Einschränkungen – „Leben in Fülle“ zu erfahren?

Ich merke: Zurückgeworfen zu sein auf einige wenige persönliche Kontakte, macht diese Kontakte besonders wertvoll. Auf manches verzichten zu müssen, was sonst selbstverständlich ist, hilft mir, das wertzuschätzen, was immer noch geht. Unter erschwerten Bedingungen Gottesdienst miteinander zu feiern, macht diese Gottesdienste besonders wertvoll für mich. Ich erlebe, wie der „gute Hirte“ mir mitten im Mangel Momente des Lebens in Fülle schenkt.

Aber auf Jesus, den „guten Hirten“ zu hören und ihm zu vertrauen, bedeutet noch mehr. Es bedeutet, auch aufeinander zu achten und einander zu „behüten“. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“, fragt Kain, als Gott ihn auf den Verbleib seines Bruders Abel anspricht (Gen 1,9), und die ganze Geschichte (Gen 1,1-16) sagt: Ja! Ja, das sollst du! Du sollst deiner Menschengeschwister Hüter*in sein. Euer gemeinsames Leben auf diesem Planeten soll von Achtsamkeit und Fürsorge geprägt sein – nicht von Neid, Hass, Gewalt und Egoismus.

Menschen, die dem „guten Hirten“ Jesus nachfolgen, werden zu Hüter*innen ihrer Menschengeschwister. Auch – und gerade! – in Zeiten wie diesen. Ob es um Abstands- und Hygieneregeln, das Tragen eines Mundschutzes oder den Verzicht auf Veranstaltungen mit unkalkulierbarem Ansteckungsrisiko geht. Und der Kreis unserer Menschengeschwister ist groß. Er beschränkt sich nicht auf Familie, Gemeinde, Nation. Er schließt alle ein, denen die Zuwendung des „guten Hirten“ Jesus gilt. Mit ihnen und für sie alle beten wir mit Psalm 121:

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.
Der HERR behütet dich;
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
Der HERR behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.
Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!
(Psalm 121)

Volkmar Hamp