Editorial 13. September 2020

Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. (Psalm 103,2)


Liebe Freundinnen und Freunde,

unser Gehirn hat von Natur aus eine Vorliebe für das Negative. Dafür gibt es eine evolutionsbiologische Erklärung. Für unsere Vorfahren, die als Jäger und Sammler die afrikanische Wildnis durchstreiften, war es wichtiger, sich an potentielle Gefahren für Leib und Leben zu erinnern als an schöne Orte für ein entspanntes Bad im See. Darum reagiert unser Gehirn im Allgemeinen stärker auf einen negativen Eindruck als auf einen positiven. Schmerzvolle Erfahrungen werden leichter erinnert als erfreuliche. Wer sich einmal die Finger verbrannt hat, wird doppelt vorsichtig. Psychologen sagen: In einer Beziehung braucht es in aller Regel fünf positive Erfahrungen, um eine negative auszugleichen. Negatives saugen wir auf wie ein Schwamm, Positives perlt an uns ab wie Wasser an einer Teflonpfanne.

Natürlich ist das alles viel komplizierter.

Persönlichkeitsstruktur, Charakter und Temperament spielen da mit hinein. Und keinesfalls sind wir unserem evolutionsbiologischen Erbe hilflos ausgeliefert! Wenn wir uns diese Zusammenhänge bewusstmachen, können wir ihnen etwas entgegensetzen. Das wusste schon der Dichter des 103. Psalms. Ohne evolutionsbiologischen Unterbau! Darum erinnert er sich selbst daran, das Gute nicht zu vergessen, das ihm von Gott geschenkt wurde: Vergebung, Heilung, Erlösung, Gnade, Barmherzigkeit, Freude, Gerechtigkeit.

Machen wir es praktisch! Wie wäre es, wir ziehen eine Woche lang jeden Abend Bilanz. Für jede negative Erinnerung an den hinter uns liegenden Tag – den nervenden Kollegen, die rücksichtslose Autofahrerin, die Kopfschmerzen und das verletzende Wort, das uns gleich darauf leid tat – rufen wir uns fünf Dinge in Erinnerung, die gut waren an diesem Tag: das Frühstücksei, der Abschiedskuss an der Wohnungstür, positives Feedback vom Chef, ein leckeres Mittagessen, eine Umarmung, unser Dach überm Kopf, das Wasser in der Wanne und manches andere mehr. Und dann schauen wir mal, ob wir das hinkriegen, nicht zu vergessen, was Gott uns Gutes getan hat. Und was das mit uns macht …

Volkmar Hamp