Editorial 10. Mai 2020

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder!
Psalm 98,1

„Kantate!“ – „Singt!“ – Das ist der Name des kommenden Sonntags im Kirchenjahr. Ein Sonntag des Lobgesangs zu Gottes Ehre, an dem die Musik im Mittelpunkt steht! Leider in Corona-Zeiten etwas schwierig. „Ein Gottesdienst ohne Singen ist kein Gottesdienst!“, klagt ein Kirchenmusiker. Ein anderer befürchtet nachhaltige Schäden für die (kirchliche) Chorlandschaft. Und für mich gehört das gemeinsame Singen zu den Dingen, die ich am schmerzlichsten vermisse in unseren Zoom-Gottesdiensten.

ABER: Ist euch aufgefallen, wie viele neue Lieder in den letzten Wochen unter dem Eindruck der Corona-Krise entstanden sind? Wie viele alte Lieder in einer „Corona-Version“ neu aufgelegt wurden? Wie viele Home-Recording-Chor-Projekte Menschen miteinander verbinden, damit aus physischer Distanzierung keine soziale Isolation wird?

Singen tut gut. Singen ist Medizin. Das gilt auch in Corona-Zeiten. Und das ist keine neue Erkenntnis, sondern uraltes Menschheitswissen. Nicht ohne Grund ist ein Liederbuch, das Buch der Psalmen, Teil der Heiligen Schrift von Juden und Christen. Der Wochenspruch für die kommende Woche ist diesem Buch entnommen: „Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ (Ps 98,1)

Wie sehr warten und hoffen wir in diesen Tagen auf Wunder!? Dass die beschlossenen Lockerungen nicht zu einer zweiten Infektionswelle führen! Dass schnell ein wirksames Medikament und ein Impfstoff gefunden werden! Dass die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen weniger dramatisch ausfallen, als von manchen befürchtet!

Das Wunder, das der 98. Psalm mit einem „neuen Lied“ besingt, ist ein anderes (oder vielleicht auch nicht). Es geht um das Heil und die Gerechtigkeit, die mit dem Kommen Gottes in diese Welt verknüpft sind. Darauf antworten die Menschen, antwortet die ganze Schöpfung mit Jauchzen, Singen, Rühmen, Loben, Klatschen und fröhlich sein.

Hoffen wir auf dieses Wunder? Glauben wir daran, dass unsere Welt nach der Corona-Pandemie eine andere, eine bessere, eine gerechtere Welt sein kann? Oder sehnen wir nur ein schnelles „Weiter so wie vorher!“ herbei? Die Weichen für die zukünftige Welt werden heute gestellt. Wir sind Teil dieses Prozesses und können unseren Teil dazu beitragen, dass ein wenig mehr Heil und Gerechtigkeit einziehen in diese Welt.

Ein Paradies auf Erden werden wir dadurch nicht erschaffen. Das bleibt dem Kommen Gottes am Ende der Zeit vorbehalten. Aber wenn es stimmt, dass das „Reich Gottes“, von dem Jesus spricht, nicht in einer fernen Zukunft liegt, sondern „nahe herbeigekommen“ und „mitten unter uns“ ist (Mt 3,7; 4,17; 10,7; Lk 10,11; 17,21), dann kann auch jetzt schon – mitten in der Corona-Zeit und erst recht danach – etwas davon sichtbar werden in dieser Welt. Manche der in den vergangenen Wochen entstandenen Corona-Lieder singen davon. Stimmen wir mit ein?

Volkmar Hamp